Bußgeldkatalog-Chaos nach StVO-Novelle: “Bekomme ich meinen Lappen zurück?”
News von bussgeldkatalog.org, veröffentlicht am: 16. Juli 2020
Gut zwei Monate galt der neue Bußgeldkatalog. Im Zuge der StVO-Novelle traten dabei u. a. strengere Sanktionen für Raser in Kraft, die teils kontrovers diskutiert wurden. Doch vor zwei Wochen dann brach das Bußgeldkatalog-Chaos los: Ein Formfehler in der Änderungsverordnung zur StVO machte plötzlich zumindest die neu eingeführten Fahrverbote nichtig. Um scheinbar den Gerichten zuvorzukommen, empfahl Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) den Ländern, vorerst wieder zum alten Bußgeldkatalog zurückzukehren. Was aber passiert z. B. nun mit Führerscheinen, die bereits auf Grundlage der neu eingeführten Fahrverbote abgegeben wurden?
Zurück zum alten Bußgeldkatalog: Chaos bei bereits kassierten Führerscheinen
Die ersten Bundesländer haben bereits damit begonnen, einkassierte Führerscheine vorläufig wieder auszuhändigen, u. a. das Saarland, Bayern und Baden-Württemberg. Möglich machen dies sogenannte Gnadenentscheide, auf deren Grundlage die Polizeibehörden eine rechtskräftig entschiedene Maßnahme vorzeitig aussetzen können. In Rheinland-Pfalz hingegen sollen betroffene Fahrer ihre Führerscheine vorerst nicht zurückerhalten. Allerdings sei auch in Rheinland-Pfalz auf Antrag eine Einzelprüfung bereits angetretener Fahrverbote möglich.
Hintergrund dieses Bußgeldkatalog- und Behörden-Chaos: Bereits rechtskräftig gewordene Entscheidungen sind in aller Regel nicht mehr anfechtbar. Wer bereits sein Bußgeld gezahlt, das Fahrverbot angetreten oder die Einspruchsfrist fruchtlos hat verstreichen lassen, kann hiergegen also regelmäßig nicht mehr vorgehen.
Die Behörden haben bereits begonnen, laufende Verfahren und teils auch bereits abgeschlossene Verfahren erneut zu prüfen. Das Bußgeldkatalog-Chaos hat damit auch die Behörden der Bundesrepublik ins Chaos gestürzt. Zehntausende Bescheide und Verfahren müssten bundesweit erneut geprüft werden. Bereits rechtskräftig gewordene Fahrverbote und Bußgelder können zudem zu einer bundesweiten Klagewelle führen.
FAQ zum Bußgeldkatalog-Chaos
Unklar. Die Entscheidung darüber, was mit bereits angetretenen Fahrverboten passiert, ist Ländersache. Während das Saarland und Bayern bereits einkassierte Führerscheine wieder aushändigen, bedarf es in anderen wie Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg u. U. eines Antrags auf Einzelfallprüfung (bzw. Gnadenentscheid). Wenden Sie sich daher am besten direkt an die zuständige Behörde oder einen Anwalt.
Unklar. Auch hier sollten sich Betroffene an die zuständige Behörde oder einen Anwalt wenden. Das Fahrverbot einfach nicht anzutreten, ohne Rücksprache zu halten, einen Gnadenentscheid zu beantragen oder ähnliche Maßnahmen, kann nämlich ins Auge gehen, denn: Ein Fahrverbot kann auch automatisch beginnen, ohne dass Sie Ihren Führerschein hierfür einreichen (z. B. ab Rechtskraft oder nach Ablauf der 4-Monats-Frist).
Sind Sie vom Bußgeldkatalog-Chaos betroffen und Ihnen wurde zum Beispiel eines der neuen Fahrverbote für Tempoverstöße angedroht? Ist der zugrunde liegende Bußgeldbescheid noch nicht rechtskräftig, empfehlen zahlreiche Rechtsexperten, fristgerecht Einspruch zu erheben. Einige Bußgeldbehörden wollen sogar eigenständig bereits ausgestellte Bußgeldbescheide überarbeiten und neu ausstellen, verlassen sollten sich Betroffene hierauf jedoch nicht.
Unklar. Der Formfehler in der StVO-Novelle hat zunächst nur explizit neu eingeführte Fahrverbote unwirksam gemacht. Ob sich diese Teilnichtigkeit auf den gesamten Bußgeldkatalog auswirkt, ist derzeit strittig. Bis diese Rechtsunsicherheit behoben ist, soll deshalb zunächst wieder der alte Tatbestandskatalog angewendet werden. Darüber hinaus sind alter und neuer Bußgeldkatalog in vielen Punkten deckungsgleich, d. h. nicht alles hat sich geändert. Übersichten zu den tatsächlichen Unterscheidungen finden Sie hier.
Nein. Zwar hat der Formfehler bei der Anwendung vom neuen Bußgeldkatalog zu Chaos geführt, die neu eingeführten Regeln sind jedoch wirksam. Das betrifft u. a. den seitlichen Mindestabstand beim Überholen von Radfahrern, aber auch das Rechtsabbiegen bei Schrittgeschwindigkeit für Kfz über 3,5 t zGG (innerorts).
Wann ist eine Lösung für das Bußgeldkatalog-Chaos zu erwarten?
Die derzeitige Rechtsunsicherheit kommt dem Bundesverkehrsminister scheinbar nicht ganz ungelegen. Er hatte bereits frühzeitig die neuen Fahrverbote für Geschwindigkeitsüberschreitungen als “unverhältnismäßig” bezeichnet. Nun stehen Verhandlungen zwischen BMVI und den Ländern an, um eine Lösung für den aktuell chaotischen Zustand zu finden. Das Bußgeldkatalog-Chaos dient dabei scheinbar auch als Druckmittel:
“Jetzt gilt wieder der alte Bußgeldkatalog und wenn es kein Verhandlungsergebnis gibt, gilt der alte Bußgeldkatalog weiterhin, aber eben ohne die von mir gewünschten Verbesserungen zum Beispiel für die Radfahrer, das muss jeder Landesverkehrsminister wissen.” (Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister)
Baden-Württemberg und Niedersachsen haben sich bereits nachdrücklich dafür ausgesprochen, die neuen strengeren Sanktionen für Raser beizubehalten. Es ist mithin noch nicht abzusehen, wann es zu einer Einigung kommt. Alle Beteiligten drängen jedoch auf eine schnelle Lösung:
“Ich will eine schnelle Lösung mit einer Richtigstellung und einem Zurück zur Verhältnismäßigkeit. Die Formel lautet: neuer Bußgeldkatalog minus die beiden Fahrverbote.” (Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister)
Mehr erfahren Sie im folgenden Bericht des WELT Nachrichtensenders:
Bußgeldkatalog-Chaos: In diesen Punkten unterscheiden sich alter und neuer BKat tatsächlich
Erhöhung der Bußgelder für Vorfahrts- oder Abbiegeverstöße
Bußgelder für Radfahrer und E-Scooter-Fahrer
Durchfahrtsverbot in der neuen StVO
Neue Bußgelder für Umweltverstöße mit dem Pkw
Höhere Bußgelder beim Missachten der Rettungsgasse
Erhöhung der Bußgelder für Geschwindigkeitsüberschreitungen
Neue StVO: Alle Änderungen für falsches Halten oder Parken
Allgemeine Sorgfaltspflichten missachtet
Wurde vergangene Samstag geblitzt (Baden-Württemberg).
Mir droht nach dem neuen Bußgeldkatalog ein Fahrverbot.
Wird nun der alte oder der neue Bußgeldkatalog angewendet?
Sollte ich beim neuen sofort Einspruch einlegen?